Uwe Rückert/ Starke Heimat: einen Neuanfang wagen – miteinander, nicht gegeneinander; Stand 20. Oktober 2020
„Die NATO und Russland betrachten sich nicht als Gegner.“ Das ist eine fundamentale Aussage, welche zugleich den Grundpfeiler der Kooperationsvereinbarung zwischen der Nordatlantik-Vertragsorganisation und der Russischen Föderation bildet. Damit begründete sich 2002 der „NATO-Russland-Rat“, welcher spätestens mit der russischen Annexion der Krim sowie russischer Parteinahme für die ostukrainischen Separatisten ab 2014 in eine anhaltende Eiszeit geriet. Doch flackert seit 2016 auf kleiner diplomatischer Flamme wieder ein dezenter Austausch auf Botschafterebene.
Schon vor Begründung des „NATO-Russland-Rates“ ging die ehemals bipolare Weltordnung in ein sich ständig veränderndes, multipolares System über. Vielfältig herausragend wirkt dabei China, welches zweifelsohne zum wichtigen Taktgeber globaler Entwicklungen geworden ist. Neben unseren bürgerlich-liberal geprägten westlichen Demokratien, haben sich andere Staatsformen fest und durchsetzungsstark etabliert. Der politische, soziale und ökonomische Druck auf unsere westlichen Demokratien wächst rasant; von außen und von innen. Auch Russland sieht sich gewaltigen Herausforderungen gegenüber, welche dem rohstoffreichen, aber wirtschaftlich labilen Flächenstaat bei stagnierenden eigenen Bevölkerungszahlen zusetzen.
Unter dem eher negativen Eindruck gegenwärtig abgekühlter transatlantischer Beziehungen, darf man aber auch einige Chancen für die EU erkennen. Einerseits die Chance, dass die EU sich außen- und sicherheitspolitisch emanzipiert; damit als starker Akteur im globalen Konzert der Mächte eigene Positionen auch allein durchzusetzen vermag. Andererseits die Chance, zwischen den USA und Russland eine sicherheitspolitisch entspannende Scharnierfunktion wahrzunehmen. Mehr Interessensausgleich und mehr geschlossenes Auftreten im gemeinsam definierten Handlungsrahmen stünden der USA, der EU und Russland gleichermaßen gut zu Gesicht.
Die Charta der VN, die Wiener Dokumente der OSCE und nicht zuletzt die Abkommen zwischen NATO und Russischer Föderation bieten alle Möglichkeiten einer erneuten, friedlichen Annäherung. Erforderlich bleiben umsetzbare Lösungsmechanismen für bestehende Konfliktlinien zwischen NATO, EU und Russland. Bei geostrategischen Spannungsfeldern gilt es deshalb nicht über Betroffene (Baltikum, Belarus, Ukraine, Türkei, Georgien …) zu sprechen, sondern diese auf Augenhöhe einzubeziehen. Vitale Wirtschaftsinteressen bedürfen kompromissbasierter Lösungen, wie beispielsweise beim Nord-Stream-2 Projekt vs. US LNG Offerten. Auch die US Präsidentschaftswahlen am 03. November 2020 werden eine Zäsur der NATO-EU-Russland Beziehungen darstellen, welche wegweisend für den weiteren Umgang miteinander sein wird. Schlussendlich bedarf es auch in NATO und EU der Akzeptanz, dass neben westlichen Demokratien auch andere, mehr autoritär geprägte Staatsformen ihre Existenz weiter behaupten werden.
Uwe Rückert/ Starke Heimat